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Niemand schweigt für immer

Inhalt

Bei Restaurierungsarbeiten am Knüppeldamm im Hochmoor des Hunsrücker Hochwaldes bei Forstenau stoßen Waldarbeiter auf ein zum Teil mumifiziertes Skelett eines Menschen, dessen Identität als die eines ehemaligen Lehrers festgestellt wird. Overbeck und Leni werden in ihren Ermittlungen in der Bevölkerung immer wieder mit Schweigen und Ablehnung konfrontieret. Als dann ein Suizid und ein Mord geschehen, sehen sich die Ermittler inmitten einer tragischen Vergangenheitsbewältigung.

Leseprobe

Forstenau 1957

 Die vier Männer keuchten und fluchten leise vor sich hin, als sie in der Dunkelheit den klapprigen zweiachsigen Holzwagen die leichte Anhöhe hinaufschoben. Sie hatten mit ihrer Last auf dem Karren das Dorf und den Stausee mit dem riesigen Gelände eines Gestüts und der für den Tourismus gestalteten Gastronomie bereits hinter sich gelassen. Der Weg, den sie dabei benutzten, war von rotem Schotter überzogen, der irgendwann einmal in die Oberfläche eingearbeitet worden war. Im Laufe der Jahre jedoch hatte er sich mit Lehm und Erde vermischt, der aus den Wald bedeckten Höhen auf die Fahrbahn geschwemmt worden war.

 Die Männer atmeten schwer und wechselten sich stumm ab, wobei diejenigen, die das Gefährt an der Deichsel zogen, nun am hinteren Ende schoben, während die beiden anderen deren Position vorne einnahmen.

 „Hätten wir nicht das Auto deines Vaters nehmen können, verflucht? Es wäre sicherlich nicht aufgefallen“, flüsterte einer von ihnen mit kratzender Stimme, die in einem

 „Nein, hätten wir nicht“, zischte derjenige, dessen Vater offensichtlich über das angesprochene Fahrzeug verfügte. „Keiner von uns hat den Führerschein und keiner von uns ...“

 „Du meinst, keiner von uns kann ein Auto lenken?“ Der Angesprochene lachte leise. „Du weißt, dass das nicht stimmt. Es wäre nicht das erste Mal, dass du hinter dem Steuer eures Autos sitzt. Stimmt doch oder?“

 „Das ist etwas anderes, aber ein Transport wie dieser …? Stell dir vor, der Gendarm hielte uns an oder wir würden irgendwelche Spuren im Kofferraum hinterlassen. Nein, so ist es sicherer. Außerdem haben wir es ja bald geschafft.“

  Damit schien das Thema vorerst beiseitegelegt und die anderen beiden, die stoisch ihre Arbeit verrichteten, beteiligten sich nicht an der Diskussion. Es hatte den Abend über leicht genieselt, nun hatte der Regen aufgehört, die Wolken brachen langsam auf, ein diffuses und unheimliches Mondlicht auf die suspekte Gruppe werfend. Aus der Ferne erklangen die Schläge der Turmuhr, drei an der Zahl und, als gehöre es zum Ritual, erschien langsam der fahle Mond durch eine der Lücken in den Wolken und warf sein gespenstisches Licht über die seltsame Gruppe.

  Unwillkürlich legten die Männer an Kraft zu und keuchend schoben sie den Wagen um einen Deut schneller nach vorne, als befürchteten sie, im Mondlicht bemerkt zu werden.

  Inzwischen lag das Dorf in weiter Ferne und der kleine Tross hatte das Waldgebiet erreicht, wo er auf einen kleineren Weg abbog, um diesem noch etwa zweihundert Meter zu folgen. Der Karren ließ sich nun leichter schieben, da sie sich hier auf ebenem Gelände befanden. Langsam bewegten sie sich weiter, tief durchatmend und die verausgabte Kraft wieder langsam in ihren Körper saugend. Schließlich hielten sie an und schnauften erst einmal wortlos durch.

 Dann erhoben sie ihre Blicke und gaben sich durch Nicken ein Zeichen, dass sie erneut bereit seien. Bereit für eine Handlung, deren Verlauf nur sie, heute und in aller Zukunft als ihr Geheimnis bewahren, ja, mit in ihr Grab nehmen wollten.  Fast gleichzeitig griffen sie in den Wagen und umfassten das, was sie in den letzten Stunden unter Mühen bis hierhergeschafft hatten: ein Etwas, das in dunkle Stoffbahnen eingerollt und mit einem stabilen Seil verschnürt war und durch die Verpackung an die Form eines Menschen erinnerte.

 Die Männer wuchteten das Paket aus der Karre und trugen es abseits des Weges in das moorige Waldgebiet, wobei sie bei jedem Schritt bis an die Knöchel versanken. Offensichtlich war ihnen die Örtlichkeit aufs Genaueste bekannt, denn sie schleppten ihr Paket zielstrebig bis zu einer Stelle, an der sie alle, wie auf Kommando, aber ohne dass ein Wort gesprochen wurde, stehenblieben und ihre Last auf dem Boden ablegten. Einer der Männer gab den anderen ein Zeichen und machte sich auf den Rückweg zu dem Wagen. Kurze Zeit später kam er, beladen mit einer Schaufel und einer sogenannten Ulmer Hacke zurück.

 Der Größte von ihnen zeigte auf eine bestimmte Stelle im Moor und der Mann, der das Werkzeug mitgebracht hatte, begann zu graben. Es dauerte nicht lange in dem feuchten und lockeren Boden, bis vor ihnen eine Grube von etwa einem Meter Tiefe ausgehoben war, die sich langsam mit Wasser zu füllen begann. Länge und Breite waren dem verschnürten Paket angepasst, das dort unten auf dem Boden vor ihnen lag. Während des Grabens wechselten sich die Männer ab und nun, nachdem man die Grube für groß genug erachtete, half einer der Männer demjenigen, der als Letzter seine Arbeit verrichtet hatte, aus dem Loch heraus. Dann fassten sie das Paket, hoben es über die Grube und ließen es nach dem Kopfnicken einer der Männer in die Öffnung fallen. Es platschte, als das schwere Bündel auf der inzwischen mit eingedrungenen Wasser vermischten Erde aufschlug.

 Wortlos machte sich die Gruppe, wiederum abwechselnd, daran, die von ihnen geschaffene Öffnung mit der Erde aufzufüllen und als sie nach Beendigung den feuchten Erdhaufen gemeinsam mit ihren Füßen niedertraten, um eine Erhöhung der Stelle auszugleichen, hatte es den Anschein, als befreiten sie sich damit von einer Last, derer sie sich in dieser Nacht in gemeinsamer Verschwörung entledigt hatten.

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